Judo hat mir – Sabrina Filzmoser – alles gegeben und ich möchte dem Sport nun etwas zurückgeben. Bei meinem Projekt „Forever Everest“ wurde auf Meeresniveau in Indien mit dem Mountainbike gestartet, von dort aus nach Nepal gefahren, rauf zum Everest-Basislager gegangen, Zwischenstopps an den Judo-Schulen am Weg eingelegt, mit den Kids dort trainiert und schließlich der höchste Berg der Welt, der Mount Everest, bestiegen. Hier möchte ich in den kommenden Blogbeiträgen diese Reise dokumentieren.

Von Oberösterreich nach Nepal…

Die Besteigung des höchsten Bergs der Erde ist an sich schon ein großes Abenteuer, aber für mich persönlich liegt das Hauptaugenmerk auf der „Reise“ selber, den Zwischenstopps an allen Judoschulen, der Arbeit mit den Judokids in meinen beiden Everest-Judoschulen und der Interaktion mit der Bevölkerung vor Ort. Die Werte des Sports, insbesondere des Judosports, sollen an die entlegensten Orte gebracht werden, weil ich glaube, dass sie auch die Leben der Menschen dort verändern können. Ich möchte die Philosophie unserer Mission „Judo For Peace“ teilen und als IJF-Klimabotschafterin einen besonderen Schwerpunkt auf die Klimafrage legen.

Meine „Reise“ begann am 22. Februar 2022 (und eigentlich noch lange Zeit davor) daheim in Oberösterreich. Dank vieler Unterstützer konnte ich Winterjacken, Handschuhe, Mützen und Spielzeug für Nepal sammeln, wo das Material dringend gebraucht wird. Zwei Tage später, am 24. Februar 2022, ging es für mich und fast 300 kg Ausrüstung und Material nach Kathmandu, wo ich mich mit meinem Team traf, mit dem ich die Vorbereitungen für die Expedition abschloss – ein unglaubliches Abenteuer, von dem ich schon seit Jahren träumte.

Bereits der erste Tag in Kathmandu war atemberaubend. Dank einer Gofundme-Initiative mit dem Namen „Everest Judo Scholarships“, die junge Kids aus der Everest-Region unterstützt und ihnen hilft, Judo und die Werte des Sports zu entdecken und zu schätzen, waren wir in der Lage, einige junge Judoka für 46 Tage nach Kathmandu zu schicken, wo sie ein hochwertiges Training mit Surya Sensei von der PAM (Prisoner Assistance Mission) erhielten, um sich auf ihre Gürtelprüfungen vorzubereiten. Und so gratulierten wir nun drei Judoka zum Erhalt ihrer schwarzen Gürtel im Everest Judo Club: Pemba Sherpa, Nabin Tamang und die erste weibliche Dan-Grad Priti Tamang.

… von Nepal nach Indien…

Am 1. März 2022 ging es weiter nach Indien – komplizierter als geplant, viel Papierkram und administrative Abläufe! Und ab jetzt war ich leider auch ohne Satellitentelefon unterwegs, denn was ich nicht wusste: Aufgrund der großen Terrorismusgefahr ist das Mitführen solcher Geräte in Indien streng verboten! Das Telefon wurde von der Flughafenpolizei beschlagnahmt. Dank der österreichischen Botschaft, eines Anwalts und einer Verhandlung am nächsten Tag wurde ich zwar freigesprochen, aber die Kommunikation aus den unzugänglichen Gebieten der Everest Region fiel damit flach. Das nahm mir aber trotzdem nicht die Freude am Empfang durch 200 jungen Judoka in Kolkata (ehemals Kalkutta) am Tag darauf, bevor es weiter nach Digha an die Küste Indiens ging – 120 km und 5 Stunden Autofahrt – es lebe der Verkehr in Indien!

Am 4. März 2022 ging es dann mit dem sportlichen Teil los: der Start am Meeresspiegel, rauf auf den höchsten Punkt der Erde. Seit mehreren Wochen habe ich von diesem unglaublichen Abenteuer gesprochen und nun war ich wirklich auf dem Weg. Laxmi (XCO-MTB-Asienmeisterin) und Harka (XCO-MTB- National Champ), sehr gute nepalesische Freunde, begleiteten mich auf der Mountainbike-Strecke von Digha am westbengalischen Meer in Indien rauf nach Bubsa (Solu-Khumbu auf ca. 2200m) in Nepal.

… weiter nach Nepal zurück

An der Grenze von Indien nach Nepal verloren wir ungeplant viel Zeit: Die Einwanderungsbehörde machte am 8.3. am „International Womens Day“ Urlaub. Zuerst scherzten wir noch herum, aber nein, es war tatsächlich so. Und als wir dann endlich drei verzweifelte Beamte vor uns hatten, die versuchten das richtige Jahr und den richtigen Monat auf den Stempel zu setzen und ich ihnen erklären musste, wo der Stempel in meinem Pass hingehört, da ich ein „multiple entry visa“ für Nepal hatte, merkten wir nach ein paar Stunden, dass ich die erste Person aus dem Ausland war, die diesen Grenzposten seit Beginn der Pandemie passiert hat. Angekommen in Nepal hieß es nun noch die ersten Ausläufer des Himalayas zu erklimmen. Noch immer mit dem Mountainbike!

Nach 1.081 km und 9.953 hm in 11 Tagen auf dem Mountainbike haben wir schließlich am 15. März 2022 mit Bubsa (Solu-Khumbu auf ca. 2200m) unser erstes Zwischenziel erreicht. Begleitet von unpackbarem Verkehrs bei 37°C Hitze in Indien und sich jeden Hügel hinauf und hinunter windenden Wege in Nepal.

Der Mountainbike Teil des Projektes war jedoch zusammengefasst einfach unglaublich! Wir wurden bei jedem Stopp herzlich empfangen, bekamen Tee und Kekse, wurden mit nepalesischen Willkommensschals behängt und in Schulen gefragt, ob wir nicht Judomatten oder Fahrräder mitbringen könnten. Mir brach fast das Herz, wenn wir weiterfahren mussten…

Zeit zum Verabschieden von Laxmi und Harka, unserem meist (zumindest wo es möglich war) treuen Begleit- und Versorgungsfahrzeug mit Laxmis Bruder Ganesh als Fotograf und dem Fahrer Rajkumar. Mein neues Mountainbike (das nach nur 11 Tagen gar nicht mehr so neu aussah) spendete ich nun der Nepalcyclingschool (ein Projekt von Laxmi und Harka).

Ohne die Ortskenntnisse und Vorbereitungen von Laxmi und Harka hätte ich den ersten Teil der Reise wohl nie so schnell und gut geschafft. Die Bürokratie, die Logistik und der ganze organisatorische Aufwand für meine Mission, der Papierkram und die Stempelarbeit, die vielen korrupten Beamten in Indien und Nepal – hier wird einfach mit einem anderen Tempo und einer anderen Einstellung als zu Hause gearbeitet. Dazu kommt noch der herausfordernde Transport der unzähligen Kisten: Die Cargofracht des gesammelten Materials von Judogis, Sportgeräten, Kletterausrüstung, Winterausrüstung für die Schulen, etc. die dank der guten Kontakte zur Botschaft und zum Honorarkonsulat nach dem kleinen Zwischenfall in Neu-Delhi bei der Einreise letztendlich trotzdem im Land bei ihren Empfängern angelangt ist.

Judo am Weg ins Base Camp

Ab 16. März 2022 ging es nun zu Fuß weiter. Stück für Stück dem Ziel „Mount Everest“ näher. Und dabei durfte ich tief in die erstaunliche Sherpa-Kultur eintauchen, in der sich alles um Demut dreht. In Khumjung, 3790 m über dem Meeresspiegel in der Khumbu-Subregion innerhalb des Sagarmatha-Nationalparks, der zum Weltkulturerbe zählt, wurde ich mit einer herrlichen Zeremonie empfangen, die ich mir so nie hätte vorstellen können. Mir wurde ‚Subhakamana‘ gewünscht, was so viel bedeutet wie ‚Tashi delek‘, ‚erfülle deine Träume und viel Glück‘.

Die Bildungslage in Khumjung ist kompliziert, denn auch wenn der Hillary Trust und der Himalayan Trust die Khumjung-Schule seit ihrem Bau im Jahr 1961 unterstützen, reicht dies nicht aus. Zusätzlich scheitert es auch an Personal: An der Khumjung-Schule auf 3.790 m Höhe bekommen Lehrer lediglich schwer verdiente 250 Dollar im Monat. Viele ziehen es vor, in niedrigeren Höhenlagen zu arbeiten, wie in Chaurikarka oder Lukla. Ausländische freiwillige Lehrer bleiben in der Regel nur 2 bis 3 Wochen und das auch nur im Sommer, aufgrund des schwierigen und herausfordernden Lebens vor Ort.

Glücklicherweise gibt es auch großartige Personen wie Fräulein Pemba. Die Nepalesin hat den braunen Gürtel im Judo und betreut alle 88 Judokids in Khumjung. Dazu bietet sie kostenloses Essen und eine Unterkunft in ihrer eigenen Herberge für diejenigen an, die sich die Kosten nicht leisten können. Vom Kindergartenalter bis zur 10. Schulstufe – sie kümmert sich um alle 315 Kinder mit gleich großem Herz und Einsatz und kennt jede einzelne Familiensituation. Sie weiß auch, wie die Kinder zur Schule kommen, manchmal 3-4 Stunden von den entlegensten Orten! Und bietet deshalb vielen eine Unterkunft in ihrer Herberge von Khumjung an.

Hauptsächlich durfte ich aber wertvolle Zeit mit meinen Judokids in der Monjo Schule (2.850m) und Khumjung Schule (3.790m) verbringen. Wenngleich noch nicht alle Judoanzüge, Winterkleidung und Sportgeräte in den Schulen angekommen sind, konnte ich schon viel verteilen und spenden und weitere 500 kg sind inzwischen im Anschluss noch gefolgt.

In Namche habe ich Lakpa Tensing getroffen, er führt das Green Tara Hotel im Ort. Sein 90-jähriger Vater ist der einzige Überlebende von Hillarys Expedition auf den Everest von 1953, der Erstbesteigung des Mount Everest.

„Forever Everest“ vereint mit „Everest Judo“ ergibt Großes

Am 24. März 2022 habe ich schlussendlich meinen weiteren Zwischenstopp für längere Zeit zum Akklimatisieren erreicht: das Everest Base Camp. Am Weg dorthin habe ich viel über das „Forever Everest“ Projekt nachgedacht. Und verschiedene Worte gefunden, die es für mich charakterisieren: Geduld, Verzicht, Respekt, Hingabe, Demut, Selbstaufopferung, Bescheidenheit. Abgesehen von der sportlichen Dimension eines solchen Projektes, ist es für mich zentral, was vor und nach der Besteigung auf den höchsten Berg der Erde geschieht und geschehen wird. Seit Jahren engagiere ich mich für die Menschen in der Himalaya Region und unterstütze sie mit Sport- und Bildungsmaterial und glaube wirklich an sie. Ich will meine eigenen Erfahrungen und die Werte einer Sportart einbringen und vermitteln, die Werte des Judos, die auf einem universell anerkannten Moralkodex beruhen. Die Besteigung des höchsten Bergs der Erde ist also nur ein kleiner Teil eines Projekts, das sich vor allem auf eine starke Interaktion mit der Sherpa-Community stützt, auf einen ständigen Austausch mit der einheimischen Bevölkerung, auf die Achtung ihrer Bräuche, ihrer Traditionen und ihrer Kultur. Es geht im Projekt also nicht um das Streben nach einer sportlichen Leistung, die in dieser Dimension auf einen Kampf gegen mich selbst hinausläuft und nicht auf einen Wettbewerb zwischen Projekten. Mit „Forever Everest“ soll vorrangig mein „Everest Judo“-Programm unterstützt werden, das sich seit Jahren an Menschen in der Himalaya Region wendet. Die Werte des Friedens, der gegenseitigen Hilfe und des gegenseitigen Wohlergehens sollen durch das Projekt verbreitet werden und nebenbei die lokale und internationale Gemeinschaft für die absolute Notwendigkeit des Umweltschutzes sensibilisiert werden.

Die letzten Tage vor der Ankunft im Basislager war ich einfach voller Dankbarkeit gegenüber allen Erfahrungen und Erlebnissen, gegenüber der Bevölkerung, die mich in jedem Dorf willkommen geheißen haben und voller Demut gegenüber all den hart arbeitenden Trägern, Sherpas und intensiv studierenden und trainierenden Judokids, die ihre Träume verwirklichen wollen.

Und daher möchte ich durch mein Projekt genau diese Vision an die Menschen auf der ganzen Welt zu senden: Manchmal muss man hart arbeiten, aber man darf niemals aufgeben, sich auch um andere zu kümmern, niemals aufhören zu lernen, sich zu verbessern und zu entwickeln und man muss dabei immer die Mitmenschen auf die bestmögliche Art und Weise behandeln, wo auch immer man gerade ist.

Eure Sabsi