Ich musste mich zwischendurch echt immer wieder zwicken, dass ich realisiert habe, wo ich gerade bin und was ich gerade erlebt habe…
Die Arbeit in der Sherpa Community
Nach der langen Mountainbike-Strecke von Indien nach Nepal und dem Fußweg weiter ins Base Camp, war für mich die Ankunft dort oben der nächste Sprung ins Ungewisse, bei dem ich aber unglaublich herzlich aufgefangen wurde und ich mich nach kurzer Zeit bereits völlig in das Team der Sherpas, die das Basislager vorbereiten, integriert habe. Ich wuchs zu einem Teil von ihnen und kein kommerzieller Kunde wird jemals in der Lage sein, all diese wahnsinnig harten Vorbereitungen zu erleben, um ein so großes Basislager einzurichten. Zu Beginn waren wir auch von der Außenwelt noch etwas abgeschnitten, denn solange noch nicht alles fertig aufgebaut wurde, mussten wir manchmal zwei Stunden lang gehen, um ein Netz zu finden.
Durch die Integration in die Sherpa-Gemeinschaft habe ich viel über das Leben all dieser Männer und Frauen gelernt, die im Herzen des Himalayas daheim sind. Der Alltag hier ist schwierig – und das ist noch eine Untertreibung. Aber die Menschen haben so unglaublich viel Engagement und Mut, sie bewältigen und tragen (im wahrsten Sinne des Wortes) die unmöglichsten Lasten und leben diesen für uns außergewöhnlichen Alltag. Das meiste fühlt sich für mich ehrlicherweise noch immer weder realisierbar noch menschlich an.
Globale Erwärmung am Khumbu-Eisfall
Neben der Mithilfe an den Aufbauarbeiten im Base Camp habe ich zusätzlich beschlossen, meine Zeit in der Region als IJF-Klimabotschafterin zu nutzen. Ich bin stolz darauf, dass ich zur Elite Exped Expeditionsgruppe gehörte, die sich für die Erhaltung der Naturwunder unserer Welt einsetzt und nach den „Clean-as-you-go“- und „Leave-no-trace“-Richtlinien arbeitet und darauf besteht, dass alle unsere Bergsteiger und Führer die Umweltregeln, -vorschriften und -richtlinien einhalten. Seit 2022 wird das Everest Base Camp zum Beispiel komplett mit Solarenergie versorgt. Darüber hinaus arbeiten wir mit der Nimsdai Foundation für das bevorstehende Big-Mountain-Clean-up zusammen, welches den Müll zwischen Camp 4 und dem Gipfel des Everest beseitigt. Bis zu 10 kg Abfall habe ich während meines Aufenthalts im Base Camp selber an manchen Tagen zurück gebracht. Ein kleiner aber ganz wichtiger Schritt, wenn jeder anfangen wurde, seinen Müll aufzusammeln. Auch in der eigenen Umgebung daheim.
Die Klimafrage stellt sich für mich ganz extrem in Anbetracht des Khumbu-Eisfalls. Dieser ist wahrscheinlich eine der bekanntesten Stellen, knapp mach dem Base Camp am Weg zum Gipfel des Mount Everest, aber auch eine der schwierigsten. Solange man nicht inmitten dieser riesigen Seracs steht, die höher als Gebäude sind, versteht man es nicht wirklich, wie klein der Mensch im Vergleich zu den Kräften der Mutter Natur ist und wie verrückt und herausfordernd die heldenhafte Arbeit der Sherpas ist. Alles dreht sich um den Eisfall und damit leider auch um das Schmelzen dieses riesigen Gletschers durch die globale Erwärmung, die nicht erst morgen, sondern hier und jetzt stattfindet! Es ist dringend an der Zeit, unser Verhalten in Bezug auf unseren Planeten zu ändern!
Starke Menschen im Base Camp
Und dann ging es mir noch um die menschlichen Begegnungen, die einfach so viel wert sind und ich konnte unglaubliche Persönlichkeiten kennenlernen.
Einer von ihnen ist Nimsdai Purja. Nachdem Nims 16 Jahre beim Militär verbracht hat, davon 6 Jahre als Ghurka und 10 Jahre bei den britischen Special Forces, hat er sich zu einem rekordverdächtigen Bergsteiger entwickelt, der seinen Namen in eine nicht enden wollende Liste von Gipfelexpeditionen und Rettungseinsätzen in großen Höhen einträgt.
Der breiten Öffentlichkeit ist Nims vom Netflix Film „14 Peaks: Nothing Is Impossible“ und dem gleichnamigen Buch bekannt. Mit seinem Team hat der Nepalese in weniger als sieben Monaten die Gipfel der 14 höchsten Berge der Welt bestiegen. Eine Ehre für mich, Nims persönlich kennen zu lernen.
Eine beeindruckende Persönlichkeit ist auch Mingma David Sherpa. Er ist Rekordhalter, als jüngster Bergsteiger alle 14 Gipfel über 8.000 m bestiegen zu haben. Sein allererster 8.000er war dabei tatsächlich der Mount Everest! Darüber hinaus hält er den Guinness-Weltrekord für die schnellste Besteigung des Mount Everest und des K2, die er in 61 Tagen schaffte. Bei seinen Expeditionen verzichtete er mehrmals auf den Gipfel, um das Leben von Menschen zu retten – das hatte immer Priorität! Mingma David war auch Teil des Teams von Nimsdai Purja bei „14 Peaks: Nothing Is Impossible“.
Seine Karriere hat Mingma David Sherpa als Träger aus einer armen Familie angefangen. Er erkannte jedoch schnell, dass er seiner Gemeinschaft mehr helfen konnte, indem er sich für Lebensziele öffnete, die über die klassischen Erwartungen hinausgingen, ein ‚Träger‘ oder ‚Küchenjunge‘ zu sein. Trotzdem steht er immer noch genauso still und bescheiden hinter der ganzen Organisation und gibt alles für seine Sherpa-Brüder und -Schwestern und für die Umwelt. Mingma David Sherpa und Nimsdai Purja sind beide Gründer der Organisation Elite Exped, mit der ich unterwegs war.
Ich durfte im Base Camp Takeshi Nakayama und Mingma David Sherpa miteinander verbinden. Takeshi Nakayama wird 2023 eine Everest-Judoreise für NPO JUDOs und Kosei Inoue (Olympiasieger, Weltmeister und Vorsitzender der Organisation NPO JUDOs) zur Khumjung School organisieren.
Die Gipfelbesteigung durfte ich mit Lakpa Tendi Sherpa machen. Er ist ebenso Weltrekordhalter, indem er den Mount Everest dreimal innerhalb von 10 Tagen bestiegen hat. Nur 59 Tage benötigte er, um sowohl den Mount Everest als auch den K2 zu besteigen und 24 Mal hat er sich bisher über 8.000 gegeben. Zusätzlich ist er Pilot im Gleitschirmfliegen und ebenso Teil der Mannschaft der Expedition und des Films „14 Peaks: Nothing Is Impossible“.
Im Base Camp lernet ich auch Cpt. Safia Hosein kennen. Gemeinsam mit ihrem Mann war die Pilotin hier im Base Camp um zu wandern und um befreundete Piloten zu besuchen. Von den Reisfeldern von Biche in Trinidad und Tobago, über die Sanddünen der Wüsten des Nahen Ostens und den Skylines luxuriöser Städte – als Hubschrauber Pilotin hat sie die Welt über 20 Jahre lang aus allen Perspektiven gesehen.
Da ich selber Hubschrauber Pilotin bin, bewundere ich die Arbeit der Piloten hier umso mehr, denn ich weiß, wie unglaublich mühsam alles in dieser Höhe ist: das Tanken, das Hochfliegen oder einfach nur Schweben bei diesen Winden. Für jeden Piloten ist es das ultimative Ziel, hier fliegen zu können, gerade weil es eine derartig große Herausforderung ist. Auf dem Gruppenbild stehe ich mit Suraj (Rettungskoordinator), Lakpa (EBC-Manager für Rettung und Fracht), Cpt. Bimal (Flight Operator), Cpt. Dave McInerney, Cpt. Safia, Cpt. Siddartha und Padawa Sherpa, der bisher schon 23-mal am Gipfel des Mount Everest gestanden ist.
Puja-Zeremonie für den Übergang
Vor jeder Gipfelbesteigung findet die traditionelle Puja-Zeremonie statt, ein Ritual für den Übergang, um mit dem göttlichen Sagamartha, dem Mount Everest, Kontakt aufzunehmen, zu beten und den Bergsteigern eine sichere Expedition zu wünschen. Speisen und Getränke, sowie unsere Kletterausrüstung wurden für die Besteigung gesegnet. Asma Al Thani brachte mit dem originalen FIFA Weltcup Fußball 2022 einen besonderen Gegenstand mit. Dieser Ball begleitete uns auch auf den Gipfel, aber noch zuvor spielten die Sherpas damit auf dem Gletscher herum. Nach dem Mount Everest geht der Ball um die Welt und schlussendlich zur Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaft am 21. November – ein Ball der die Völker verbindet.
Mit dem Judo Löwen hoch hinaus
Mich begleitete mein kleines Judo-Maskottchen vom Internationalen Judo Verband (International Judo Federation IJF) hinauf auf den Gipfel. Auch wenn ich nun bereits knapp vor dem höchsten Berg der Erde stand: Ich werde nie vergessen, woher ich komme, wo und wer ich bin und wohin ich gehe. Der Sport Judo hat mir so viel gegeben und ohne Judo gäbe es kein Projekt „Forever Everest“ oder „Everest Judo“. Ich schätze meine Judo-Familie und vor allem liebe ich die Werte, die der Sport vermittelt und nicht nur das Streben nach Medaillen und Titeln. Auf meinem Weg vom Meeresniveau hinauf zum Everest Base Camp habe ich so viele junge Judoka kennen gelernt. Ich durfte mit ihnen trainieren, mich mit ihnen vernetzen und austauschen und mit ihnen meine Freude teilen.
In Wahrheit ist dieses ganze Abenteuer meinen kleinen Judokids gewidmet!
Eure Sabsi